Süddeutsche Zeitung, feuilleton, Jan 24 2004.

Israels Botschafter und das Kunstwerk

 

Im letzten Sommer traf ich Israels neuen Botschafter in Schweden – während einer jener Wochen, da die Zeitungen täglich berichteten, wie sich in Israel und Palästina die Schraube der Gewalt um ein paar Windungen weiterdrehte, wenn nicht gerade ein neuer Friedensplan ins Werk gesetzt werden sollte. Wir waren uns einig, dass die Situation unhaltbar sei, hatten aber, vorsichtig gesagt, radikal unterschiedliche Erklärungen dafür.Das wurde spätestens deutlich, als der Botschafter behauptete, die Palästinenser würden Israel nie anerkennen, weil sie im Grunde doch nur nach Jaffa und Haifa zurückkehren und die Juden ins Meer treiben wollten. Israel müsse also mit allen notwendigen Mitteln und auf alle Zeit über die Palästinenser herrschen.Der Botschafter sprach bewegt und ausführlich von den vielen Opfern der Selbstmordattentate.

Er sprach von der Angst der Israelis, von großer Unsicherheit angesichts der Zukunft, was sympathisch und begreiflich war. Er sprach nicht von der Besetzung, von den Siedlungen und von der noch größeren Zahl der palästinensischen Opfer, was ich ebenso abstoßend wie unbegreiflich fand, was wiederum, wie ich sofort mitgeteilt bekam, darauf beruhe, dass die Europäer im allgemeinen und die Schweden im besonderen (und solche wie ich mit ihnen) ein falsches Bild von Ursache und Wirkung dieses Konflikt vermittelt bekommen hätten, was wiederum darauf zurückgehen sollte, dass sie (wir) alle miteinander mehr oder minder vollgestopft seien mit antisemitischen Vorurteilen.Der Botschafter teilte bei dieser Gelegenheit auch mit, dass er unter solchen Umständen nicht daran dächte, sich in Zukunft als „netter und lächelnder“ Diplomat aufzuführen. Wenn es notwendig sei, könne er auch eher . . . undiplomatisch handeln.

Seine Neigung zu solchen Auftritten hatte er schon offenbart, als er in einem Fernsehinterview über die Möglichkeit nachdachte, Karl Gustav Hammar, das Oberhaupt der schwedischen Staatskirche, sei Antisemit. Er zeigte keine Bereitschaft, seinen Verdacht nur auf den Erzbischof zu begrenzen.Von diesem Gespräch ging ich mit einem Gefühl tiefer Beklemmung nach Hause und war überzeugt, die Ernennung von Zvi Mazel zum Botschafter in Stockholm sei ein diplomatischer Fehler gewesen, und irgend jemand im Außenministerium in Jerusalem werde das früher oder später schon herausbekommen.

Wenn nicht früher, so doch jetzt, dachte ich am Morgen des 17. Januar, als mich ein Reporter des israelischen Militärsenders mit der Nachricht von Botschafter Mazels undiplomatischem Beitrag zur Kunstinstallation „Schneewittchen und der Wahnsinn der Wahrheit“ weckte.

Natürlich irrte ich in beiden Fällen. Die Ernennung von Botschafter Mazel war kein Fehler, sein undiplomatischer Auftritt im Historischen Museum war kein Arbeitsunfall, und die maßlosen Anklagen gegen Schweden und seine Antisemiten gehorchten einer Überzeugung, die sich nur Anlässe gesucht hatte.

Das wurde spätestens klar, als Premierminister Ariel Scharon am Tag nach dem Bildersturm der Welt mitteilen ließ, er habe den Botschafter sofort angerufen und ihm gedankt, „weil er sich gegen den wachsenden Antisemitismus“ gewehrt habe. Außerdem habe er ihn der Unterstützung der Regierung dafür versichert, „ein Kunstwerk zu zerstören, das einen Selbstmordattentäter glorifiziert“.

Zvi Mazel hatte nur seinen Auftrag ausgeführt, und nach Ansicht seiner Auftraggeber hatte er ihn gut ausgeführt.

Um welchen Auftrag es dabei ging? Gewiss ging es nicht darum, gegen ein antisemitisches Kunstwerk auf einer von der schwedischen Regierung finanzierten Kunstausstellung zu protestieren. Denn es ist in diesem Kunstwerk nicht die geringste Spur eines Antisemitismus zu erkennen, und noch weniger eine Aufforderung, „Juden zu töten“. Eine Selbstmordattentäterin in einem Meer von Blut kann viel bedeuten. Man stelle sich nur vor, man würde das herumschwimmende Porträt einer engelgleichen Hanadi Jaradat gegen das Porträt eines engelgleichen Ariel Scharon austauschen. Man würde sofort sehen, dass ein Meer von Blut demjenigen, der darauf herumschwimmt, nicht gerade schmeichelt.

Soweit ich verstanden habe, hatte es der Botschafter auch nicht für nötig gehalten, das Werk zu sehen, bevor er sich entschloss, undiplomatische Maßnahmen zu ergreifen. Es hatte mit der ganzen Angelegenheit nicht sehr viel zu tun.

Nein, der Auftrag, den der Botschafter zur großen Zufriedenheit seiner Auftraggeber ausgeführt hatte, bestand darin, ins Rampenlicht zu treten und die israelische Rechtsregierung zu verteidigen, eine Regierung, die immer weniger davor zurückschreckt, die Anschuldigung des Antisemitismus zu brauchen oder zu missbrauchen, um eine immer brutaler werdende Politik von Besatzung, Unterdrückung und Demütigung zu rechtfertigen. Für diese Regierung ist die geringste Andeutung, dass ein palästinensischer Selbstmordattentäter noch von anderen Motiven getrieben sein könnte als von einem unversöhnlichen Hass auf die Juden, eine Bedrohung ihrer Politik und deswegen ein legitimes Ziel für undiplomatische Auftritte.

Ich will mich nicht drücken. Die Regierung, die heute in Israel herrscht, ist eine Regierung nationalistischer Extremisten. Sie mag demokratisch gewählt sein, aber das macht die Sache nicht besser. Diese Regierung hat nicht die mindeste Absicht, einen dauerhaften und gerechten Frieden zu erreichen. Statt dessen will sie ihre militärische und politische Dominanz für alle Ewigkeit festigen. Deswegen zögert sie nicht, den Begriff Antisemitismus zu trivialisieren.

Wenn ein israelischer Botschafter den schwedischen Erzbischof einen Antisemiten nennt und das Werk eines Künstlers israelischer Abstammung eine Aufforderung zum Mord an Juden – wie sollen wir die Gruppen und Personen nennen, die Juden offen hassen, die sich offen antisemitischer Stereotype bedienen und die offen Gewalt gegen Juden propagieren?

Das ist der ernste Hintergrund für die Dinge, die jetzt geschehen sind. Dass eine Regierung in Israel die Furcht vor dem Antisemitismus systematisch verstärkt und ausnutzt, um damit eigene politische Zwecke zu verfolgen. Dass eine Regierung in Israel das Leben für alle Juden auf der Welt gefährlicher macht, weil sie „der Wolf ist da“ so oft und laut ruft, dass sich keiner mehr darum kümmern wird, wenn er wirklich kommt.

Gegenwärtig entspinnt sich ein furchtbares Wechselspiel zwischen der Brutalisierung des Konflikts im Nahen Osten und dem Anwachsen von antisemitischen Stimmungen und Handlungen weltweit. Die Verantwortung für den wachsenden Antisemitismus liegt natürlich ungeteilt bei den Antisemiten selbst, nicht zuletzt bei den muslimischen Führern, die nicht Verstand und Fähigkeit und Wille genug hatten, sein Entstehen unter jungen, wütenden Muslims zu bekämpfen.

Doch die Verantwortung für die systematische Ausnutzung der Furcht vor dem Antisemitismus, zum Zweck der Verteidigung einer unhaltbaren Politik, liegt schwer auf Israels Regierung – und auf allen, die gedankenlos in den wohlkalkulierten Ruf vom Wolf einstimmen.

Der Autor, 1948 als Kind polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Schweden geboren, lebte lange in Israel und den USA; heute arbeitet er als Publizist in Schweden. Sein Buch „Das verlorene Land“ über seine Erfahrungen mit dem Zionismus und Israel ist 1998 im Jüdischen Verlag erschienen.

Deutsch von Thomas Steinfeld